Michelle Sachs, Vergolderin

Michelle Sachs hat einen seltenen Handwerksberuf. Sie ist gelernte Vergolderin. Ihre Firma Goldsachs hat sie 2012 gegründet. Da war sie 28 Jahre alt.

Michelle Sachs, Foto: Alexandra Sell

 I.: Bitte erzähle, wie Du zum Beruf der Vergolderin gekommen bist.

MS: Nach dem Abitur habe ich mich gefragt, was ich machen möchte. Zum Studium habe ich nicht so den Zugang gefunden, weil ich was Praktisches machen wollte, was Handwerkliches, da lag mein Schwerpunkt.

Ich bin damals zum Arbeitsamt gegangen, um mich zu informieren, was es überhaupt für Berufe gibt. Den Beruf des Vergolders kannte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich habe das Buch „Beruf aktuell“ durch­geblättert, von A bis Z. Und am Ende bin ich bei dem Beruf „Vergolder“ hängen­geblieben – wegen des schönen Klangs. Ich habe mir vorgestellt, wie es ist, wenn ich irgendwo bin, und mich vorstelle: „Guten Tag, ich bin die Michelle, ich bin Vergolderin“, das klang einfach schön.

In den „Gelben Seiten“ standen etwas mehr als eine Handvoll Vergolder-Werkstätten, die telefonierte ich durch. Zwei davon haben zu der Zeit in Berlin ausgebildet und einer davon hat mich genommen. Es war ein Glücksfall, dass da ein Platz frei wurde. Da wusste ich noch gar nicht, was mich in dem Beruf erwartet, deshalb stand erst mal ein Praktikum an. Darauf folgte die dreijährige Ausbildung in der „Werkstatt für Bild und Rahmen“ in Berlin Wilmersdorf. Wir haben in der Werkstatt Bilderrahmen hergestellt, überwiegend Vergolderrahmen in der Technik der Polimentvergoldung. So bin ich in den Beruf reingewachsen.

Berlin-München / München-Berlin

MS: Die Berufsschule für Vergolder ist in München. Vergolder ist ja doch ein sehr seltener Ausbildungsberuf, deshalb gibt es mittlerweile nur noch die eine Berufs­schule in ganz Deutschland. Und das hieß, dass alle Azubis aus Deutschland nach München in die Fachschule für Farbe und Gestaltung zum Blockunterricht kommen. Das ist immer dreimal im Jahr für mehrere Wochen.

Den Wechsel zwischen den Städten fand ich sehr schön. Ich hatte in Berlin den Ausbildungsbetrieb und habe München als neue Stadt kennengelernt.

Nach der Ausbildung wollte ich dann doch noch anschließend studieren. Anfänglich habe ich über Restaurierung nachgedacht, bin davon abgekommen und kam auf die Theatermalerei. Den Wunsch hatte ich schon vorher gehabt, vor der Ausbildung. Der Beruf der Theatermalerei lässt sich als Studienfach belegen oder über eine Ausbildung erlernen. Ich habe mich für das Studium beworben und in Dresden an der Hochschule für Bildende Künste angefangen zu studieren.

Das Studienfach ist einmalig auf der ganzen Welt. Es ist auch ein besonderer Beruf, der mich reizt. Doch ich war nicht so zufrieden mit dem Studium und habe das nach zwei Jahren abgebrochen, auch weil ich mich nicht in dem Beruf gesehen habe.

Während des Studiums habe ich festgestellt, dass mein Herz fürs Vergolden schlägt, dass ich mich dort mehr zu Hause fühle.

Als ich wieder in Berlin war, habe ich natürlich nach Aufträgen gesucht und sogar nach einem Angestelltendasein. Das hat sich nicht ergeben. So viele Vergolder gibt es nicht und noch weniger, die auch jemanden anstellen können. Somit kam ich eigentlich aus der Not heraus auf die Idee, mich selbstständig zu machen.

Da war ich 28 Jahre alt. Es war am Anfang schon nicht einfach. Ich habe viel mitgearbeitet bei anderen Betrieben, in Rahmenwerkstätten und auch ganz einfache Malerarbeiten gemacht, wie Wände weiß streichen, Fenster weiß lackieren. Das hat nicht immer Spaß gemacht, langsam hat es sich aber entwickelt. Ich hatte auch viel Glück und Unterstützung aus dem Familien- und Freundeskreis.

Drei Jahre nach meiner Gründung habe ich mir eine Werkstatt in Weißensee angemietet. Vorher habe ich den Betrieb von zu Hause aus geführt.

Tradition und Neues schaffen

Mit der Zeit hat sich mein Schwerpunkt entwickelt Richtung Wandgestaltung. Da spielt dann wieder die Verbindung von Vergolderei und Theatermalerei eine Rolle.

Das Vergolden, also etwas Edles herstellen, was aufwendig und besonders fein ist und die Theatermalerei, die mehr in die Größe und Farbe geht und Räume schafft, da kann es auch mal gröber sein.

Vergoldungen können direkt auf der Wand ausgeführt werden oder auch auf Lein­wänden. Vergoldete Leinwände sind dann wie ein Kunstwerk, welche sich hinhängen lassen zum Betrachten.

Vergolden heißt nicht immer, dass Blattgold im Spiel ist. Das ist einfach die Berufs­bezeichnung. Es gibt sehr viel mehr Blatt­metalle, neben Gold auch dünn­geschlagenes Silber, Messing, Kupfer, Platin, Aluminium und Palladium zum Beispiel. Mit diesen Blattmetallen arbeitet der Vergolder, das ist die Charakterisierung von dem Beruf.

Man kann auch viel mit unterschiedlichen Blattmetallen experimentieren, was ich sehr gern mache. Ich liebe dieses alte Handwerk, diese traditionellen Techniken. Und ich finde es äußerst spannend, sie weiterzuentwickeln.

Das heißt, etwas Neues zu schaffen, weg von den klassischen Mustern und Vorgaben und mit den Materialien spielen. Zum Beispiel Glasscheiben vergolden, so dass Spiegeleffekte entstehen. Und das auch mal kombinieren, mischen und probieren, was eigentlich alles passieren kann und mal ein bisschen über die Grenzen gehen. Denn als Vergolder achtet man doch eher drauf, sein Handwerk „richtig“ auszuführen. Der Aufbau muss stimmen, damit alles hält und die Vergoldung sitzt.

Auf meinen Leinwänden lote ich gerade aus und mache bewusst etwas, was ich als gelernte Vergolderin so nicht machen würde. Zum Beispiel, dass der Untergrund auf der Leinwand reißt, irgendwas zu trocken ist, das Blattmetall nicht vollständig hält. So entstehen aus den Schichten immer wieder neue Bilder und Situationen, die häufig auch vom Zufall bestimmt sind, und dadurch das Werk ganz spannend und einzigartig machen.

Vergoldete Leinwand, Goldsachs, Foto: Michelle Sachs

I: Was ich hier in Deiner Werkstatt sehe, sind unglaublich schöne Bilder mit einer Explosion von Farbnuancen.

MS: Ja, das stimmt. In diesen Arbeiten spiegelt sich das Handwerk und ein bisschen meine Persönlichkeit wider. Deswegen liegen mir diese Leinwände auch sehr am Herzen.

Es ist immer eine Schichtung. Diese Arbeit auf einer Leinwand heißt zum Beispiel „Schichtarbeit“ – im mehrfachen Wort­sinne. Weil ich da herkomme, vom Schichten. Vergolden ist einfach ein langer Prozess. Diese Arbeit lehrte mich, dass man Zeit mitbringen muss und auch eine gewisse Ruhe braucht – auch innere Ruhe – um da voranzukommen. Und diese Schichtung spürt man schon, wenn man das Bild anguckt. Es entsteht da eine Tiefe, es passiert etwas. Man kann immer neue Stellen entdecken und aus jeder Perspektive sieht das Bild anders aus.

I: Du hast gerade auch von Geduld geredet. Es geht aber wohl nicht allein um Geduld, sondern auch um Präzision und Achtsamkeit mit den Materialien.

MS: Ja, da ist was dran. Achtsamkeit beginnt schon mit dem Blattgold. Das ist ja ein sehr edles und wertvolles Material, was auch erst mal abgebaut werden muss und nur begrenzt vorkommt. Und da sollte man eigentlich schon alleine deswegen achtsam umgehen.

Wir arbeiten mit so vielen verschiedenen Materialien, auch mit Schellack und Haut­leim, vielen natürlichen Produkten. Das erfordert zum einen die Kenntnisse über diese verschiedenste Werkstoffe und eben die Achtsamkeit und das Gefühl, wie damit umzugehen ist. Man sollte beobachten, was passiert, wie die Materialien miteinander reagieren, wenn man was macht und was damit ausgelöst wird.

Blattgold, Goldsachs, Foto: Michelle Sachs

I: Gibt es ein persönliches Motto oder eine Einstellung zu Deinem Beruf?

MS: An meinem Beruf begeistert mich das Arbeiten mit den traditionellen, seit Jahrtausenden verwendeten Vergoldungs­techniken. Gleichzeitig erhalte ich damit die Möglichkeit etwas Neues zu schaffen, kreativ damit umzugehen, um das, was gelernt wurde in die heutige Zeit zu transformieren. Nur dadurch kann das alte Handwerk erhalten bleiben, indem es weiterentwickelt wird. Da gilt es eine persönliche Note mit reinzubringen, eine eigene Handschrift zu entwickeln.

.I: Als Selbstständige bist Du aktiv im Netzwerk für Berliner Handwerkerinnen. Wie bist du in das Netzwerk gekommen? Warum ist es wichtig oder vielleicht nicht?

MS: Das kam über einen Auftrag von einem Raumausstatter in Berlin. Da durfte ich einen Stuhl restaurieren. Zu tun hatte ich u.a. mit der Polsterin Yvonne Klein von dem Betrieb, die mir den Stuhl in meine Werkstatt geliefert hat. Yvonne Klein und ich sind im gleichen Alter und haben uns schnell sympathisch gefunden. Sie hat vom Netz­werk erzählt und mich eingeladen vorbeizukommen. Und dann hat es auch irgend­wann geklappt, also ich war neugierig.

I: Neugierde ist immer gut. Wir haben dich aber zuerst als die Frau, die in der Staatsoper vergoldet, kennengelernt!

MS: Genau, das stimmt.

I: Vielleicht erzählst du das noch mal?

MS: Es kam ein großer Auftrag vor einem Jahr, im Februar 2017, die Staatsoper Berlin. Es ging um die Neuvergoldung und Restaurierung von ganz vielen Profilleisten, der ganzen Wandverkleidung in den Umgängen. Da hatte ich mir auch ein Team aufgestellt. Bis zu acht Leute hatte ich gleichzeitig zu versorgen mit Arbeit, darunter sogar noch einen Praktikanten. Das hat sich während der Baustelle so ergeben.

Da bin ich auch durch Kontakte draufgekommen, durch ein funktionierendes Netz­werk. Ich habe mich nicht beworben, an keiner Ausschreibung teilgenommen, sondern habe eines Tages eine E-Mail von einer Bekannten bekommen, die gehört hat, dass noch Vergolder gesucht werden, ich sollte mich mal bei dem Bühnenmeister von der Staatsoper melden. So kam das Ganze ins Rollen und  kurz darauf hatte ich den Auftrag zusammen mit einer Restauratorin. Wir waren Subunternehmerinnen bei einer Bau- und Denkmalfirma. Am Anfang war nur von den Saaltüren die Rede, das war noch überschaubar. Es kam dann immer mehr dazu. Zu tun hatten wir für das ganze nächste Jahr. Der Zeitdruck war so groß, dass wir gefragt wurden, ob wir noch die ganzen Umgänge, die ganzen Wandpaneele gleich weiter vergolden können.

I: Wie viel Kilometer waren das?

MS: Locker sechs Kilometer, welche mein Team bearbeitet hat. Das Team von der Restauratorin hatte ungefähr genauso viel, das waren dann insgesamt zwölf, 13 Kilometer in der ganzen Oper, was diese schmalen Holzprofile angeht.

I: Ich würde gern noch mal zu den Netzwerken zurückkommen. Jetzt wissen wir, wie du zu uns gekommen bist, aber was ist dir an Netzwerken wichtig?

MS: Ein Netzwerk ist das A und O. Es geht einfach nur so weiter, dass man voran­kommt. Beruflich können sich da Kontakte knüpfen, also gerade im Netzwerk von den Berliner Handwerkerinnen. Da sind einige Handwerke vertreten, mit denen ich auch beruflich zu tun habe oder die wiederum Leute kennen, die für mich interessant sein könnten. Seien es Raumausstatter, Polsterer oder Tischler. Vergolden ist ja doch recht universell, weil man ja so gut wie alles vergolden kann. Deswegen habe ich auch mit verschiedenen Handwerker/innen oder Gewerken zu tun. Geschäftlich bringt es mich voran. Und ganz wichtig ist immer auch der Austausch, der persönliche und der Austausch über Erfahrungen, zum Beispiel wie etwas gelaufen ist und worauf ich achten sollte. Das Netzwerk für Berliner Handwerkerinnen lebt auch von den Work­shops, die angeboten werden und aus denen man immer sehr viel mitnehmen kann. Das ist schon das Besondere. Und ich erfahre von ganz vielen Veranstaltungen, die in Berlin passieren, die ich sonst nicht so mitbekommen hätte. Seien es Info­veranstaltungen der Handwerks­kammer oder wo ich mich beraten lassen kann und wer Ansprechpartner dafür ist. Das Netzwerk hat mich schon auf vielen Ebenen weitergebracht.

I: Das heißt, der Mehrwert für dich liegt in der Möglichkeit Kontakte zu finden, Neues kennenzulernen?

MS: Genau. Und auch so ein gewisses Gefühl von „aufgehoben sein“. Es bringt mich schon auf einer eher rationellen Ebene weiter und es gibt auch so ein fast familiäres Gefühl mit der Zeit, dass ich denke: „Okay, da kann ich hin und da bin ich unter meinesgleichen“.

I: Man kann sich ein bisschen fallenlassen!

MS: Ja, genau.

I: Wo siehst Du Dich, wo GOLDSACHS in fünf Jahren?

MS: Ich möchte mich weiter etablieren als die Vergolderin in Berlin, dass ich die Expertin und die Ansprechpartnerin bin. Dass Leute auf mich zukommen können, privat  wie geschäftlich, wenn sie etwas vergoldet haben möchten. Gerne auch Künstler und Künstlerinnen, die Ideen haben und vielleicht noch nicht wissen, wie sie die umsetzen können. Da berate ich gerne und entwickle gemeinsam Lösungen mit den Kunden

Und ich will mich damit auch noch etwas mehr abheben von den Vergoldern, die hier ein Ladengeschäft haben und überwiegend auf Bilderrahmen spezialisiert sind.

Meine Werkstatt hat bewusst keine Öffnungszeiten, damit ich flexibel vor Ort, auf Baustellen sein kann. Um das alles zu bewältigen kann ich mir auch vorstellen, personell zu wachsen, dass noch ein oder zwei Mitarbeiter dazu kommen. Das sollte jetzt nicht zu groß werden, sondern immer noch so händelbar. Und dafür brauche ich auch einen größeren Raum, also eine größere Werkstatt. Eine Zukunftsvision ist schon noch, dass ich auch ausbilde. Dazu zählt eine gute Auftragslage und am besten noch ein fester Mitarbeiter, dass die Ausbildung gut bewerkstelligt werden kann.

 I: Michelle, ich danke Dir sehr herzlich für das Gespräch.

Das Kompetenzzentrum für Berliner Handwerker*innen des bfw wird durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung des Landes Berlin gefördert.

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